Interview mit Michael Balmer: Kaffeesatzleserei

01 Februar 2023

TLDR: wir sprechen über den Kaffeemarkt und die wichtigsten Trends.

Dies ist das Interview mit dem Kaffeeexperten Michael Balmer. Michael beschäftigt sich seit Jahren mit vielen Themen um Kaffee, lebte unter anderem in kaffeeproduzierenden Ländern Mittelamerikas und betreibt das Branchenportal Mycoffee Base (Link).

Das Interview führte Philipp Marxen

Michael, du beschäftigst dich seit Jahren mit dem Thema Kaffee und hast eine Webseite dazu erstellt. Kurze Frage vorweg: was ist dein Lieblingskaffee?

Einer meiner Lieblingsröster ist die amerikanische Marke Stumptown. Die haben eine erstklassige Auswahl an Single-Origins und Blends aus der ganzen Welt. Für eine ausgewogene Tasse kann ich den Stumptown Hair Bender sehr empfehlen. Da ich momentan in Mexiko zuhause bin, probiere ich auch ganz gerne verschiedene lokale Kaffees.

PM: Wir sprechen oft einfach von Kaffee, dabei gibt es natürlich ganz unterschiedliche Sorten. Trotzdem verlangen wir im Café keinen Robusta-Espresso. Wie unterscheiden sich die Sorten und ist das für Verbraucher überhaupt zu erkennen?

Es gibt über hundert verschiedene Kaffeearten, doch relevant für den durchschnittlichen Kaffeetrinker sind eigentlich nur zwei: Arabica und Robusta. Die machen zusammen fast 100% der gesamten Produktion aus.

Die beiden Arten unterscheiden sich wesentlich in Wachstum, Koffeingehalt, Ertrag und Geschmack.

Die Robustapflanze wächst und reift schneller und wird etwa doppelt so hoch wie Arabica. Dementsprechend ist der Ertrag an Robusta auch wesentlich höher als Arabica. Wie es der Name schon andeutet, ist die Robustapflanze auch widerstandsfähiger als die Arabicapflanze und gedeiht in heisserem Klima, häufig direkt an der Sonne. Arabica wächst in höheren Gefilden bis 2000 m.ü.M., wächst besser im Schatten und ist anfälliger für Schädlinge.

Geschmacklich wird Arabica von vielen als besser empfunden als Robusta, mit Geschmacksnoten, die von fruchtig bis zu schokoladig reichen.

Robusta ist typischerweise bitterer und erdiger mit vollem Körper mit weniger ausgeprägten Geschmacksnoten. Der Koffeingehalt ist höher und Robusta produziert auch mehr Crema, weshalb Espresso Blends häufig einen gewissen Teil an Robusta enthalten.

PM: sprechen wir jetzt mal über die finanzielle Seite: wie werden die Kaffeepreise gebildet und an was orientieren sich die Preise? Wie groß sind die Unterschiede und wie entstehen dabei Normen?

Wie auch bei jedem anderen Rohstoff hängt der Preis vor allem von Angebot und Nachfrage ab. Im letzten Jahr konnten wir einen Anstieg feststellen, wobei in den letzten Monaten die Preise wieder abgesunken sind. Je nach Qualität zahlen Röster für grüne Kaffeebohnen zwischen $1 und $6 pro Pfund. Der jüngste Anstieg ist vorallem einer schlechteren Ernte in Brasilien, dem größten Produzenten weltweit, zuzuschreiben. 

Hervorzuheben ist auch, dass der Kaffeekonsum weltweit tendenziell steigt. Dies bietet ein enormes Potenzial, neue Märkte zu erschließen.

PM: Wieviel Ertrag bringt ein Hektar? Was könnte sonst darauf angebaut werden und welche Maschinen werden in Kaffeeplantagen eingesetzt? Oder ist es vor allem noch Handarbeit?

Der durchschnittliche Ertrag von Kaffee liegt bei ungefähr 680 kg/ha. Dabei gibt es große Unterschiede, wenn man die verschiedenen Länder vergleicht. So ist der Ertrag in afrikanischen Ländern typischerweise kleiner als in Zentralamerika und südamerikanischen Ländern. Auch Länder, die traditionellerweise Robusta produzieren, wie Vietnam, verzeichnen größere Erträge. [1]

Die Kaffeekirschen werden größtenteils, nach wie vor, von Hand abgelesen. Dies hat zum Vorteil, dass die Pflücker selektiv nur die reifen Kirschen lesen. Unreife Kirschen werden am Strauch gelassen und zu einem späteren Zeitpunkt gepflückt. Steiles Gelände in bergigen Gebieten lässt es oft gar nicht erst zu, Maschinen zu verwenden.

Besonders auf großen Farmen in Brasilien und zum Teil auf Hawaii wird zur Kaffeeernte auf Maschinen zurückgegriffen. Bei dieser sogenannten Stripping Methode arbeitet die Erntemaschine mit rotierenden Bürsten, welche die Kaffeekirschen zu Fall bringen. Die Früchte werden entweder direkt aufgefangen oder auf den Boden fallen gelassen und später zusammengelesen.

PM: werden die Schritte der Röstung vor allem in den Produzentenländer gemacht oder in den Konsumentenländer und warum?

Die Röstung wird typischerweise im Land vorgenommen, in dem der Kaffee auch konsumiert wird. Dies hat einen einfachen Grund: Frisch gerösteter Kaffee sollte im Idealfall innerhalb von 2-3 Wochen konsumiert werden. Wenn wir bedenken, dass ein großer Teil des weltweiten Kaffeekonsums auf westliche Industrieländer fällt, ist es nachvollziehbar, dass der Röstungsprozesses auch größtenteils in Europa und Nordamerika stattfindet.

In den letzen Jahren ist jedoch beispielsweise ein Wachstum der Specialty-Coffee Szene in Lateinamerika zu beobachten. Somit ist zu erwarten, dass der Röstungsprozess vermehrt auch auf einige Produzentenländer fällt.

PM: welche Firmen dominieren den Kaffeemarkt? 

Auf der Liste der größten Firmen im Kaffeemarkt findet man natürlich einige verdächtige, sehr bekannte Namen. Starbucks mit Hauptsitz in Seattle, USA führt die Liste an. Die Kaffeekette hat inzwischen über 30’000 Filialen in über 80 Ländern. Andere bekannte Namen sind McCafé, die zu McDonald’s gehören, die italienische Firma Lavazza und die kanadische Kaffeekette Tim Hortons.

Hinsichtlich Kaffeemaschinen ist nicht wirklich eine Dominanz einiger weniger Marken zu erkennen, sondern eine ganze Bandbreite an Firmen, welche sich auf verschiedene Maschinentypen fokussieren. Keurig gehört zu den Größten und ist führend in der Produktion von Kapselmaschinen in den USA. In Europa dominiert diese Nische die schweizerische Marke Nespresso, welche zu Nestle gehört. Andere bedeutende Marken sind Panasonic, Delonghi, Electrolux und Melitta.

PM: in den letzten Jahren kamen ja unterschiedliche Kapselkaffees auf. Was sind momentan die wichtigsten oder neuen Trends im Kaffeemarkt?

Einerseits sehe ich neue Trends, wie Kaffee zubereitet wird. In den letzten Jahren wurde Cold Brew sehr beliebt, wobei der Kaffee kalt zubereitet wird. Dies hat zur Folge, dass gewisse Säuren nicht extrahiert werden, was dem Kaffee eine sanftere Geschmacksnote verleiht. Dem wurde in jüngster Zeit noch eine Schippe draufgelegt und der sogenannte Nitro Kaffee wurde geboren. Dies ist nichts anderes als mit Stickstoff versetzter Cold Brew, welchem einen seidigen, sanften Geschmack nachgesagt wird. Immer mehr Coffee Shops haben dieses “hippe” Getränk unterdessen im Angebot.

Desweiteren gibt es einen Trend hin zu nachhaltigem, Fair-Trade Kaffee. Viele Konsumenten sind bereit, etwas mehr für ihre Kaffeebohnen zu zahlen, im Wissen, dass beispielsweise keine Pestizide eingesetzt wurden und die Bohnen unter fairen Bedingungen geerntet wurden. Natürlich ist dies sehr schwer zu kontrollieren, dennoch sehe ich eine positive Entwicklung in vielen Produzentenländern.

Nicht zuletzt dank der Pandemie habe ich zudem einen Trend hin zu Kaffee-Abos festgestellt. Anstatt Kaffee jedes Mal wieder auf Neue zu kaufen, werden bei einem Abo in regelmässigen Abständen die Bohnen direkt nach Hause geliefert.

PM: wie verändert sich der Kaffeeverbrauch in unterschiedlichen Ländern?

In Sachen Kaffeekonsum pro Kopf ist Finnland seit Jahren an der Spitze mit etwa 4-5 Tassen pro Tag. Generell führen nordische Länder und andere europäische Länder dieses Ranking. In absoluten Zahlen führt die USA, vor Deutschland und Japan.

In Lateinamerika, das vor allem als Exportgebiet bekannt ist, wird vergleichsweise wenig Kaffee getrunken. Andere Getränke werden bevorzugt, und falls doch Kaffee getrunken wird, ist er qualitativ relativ schlecht. Dies ändert sich jedoch auch langsam mit dem Aufkommen einer Specialty Coffee Szene in verschiedenen Ländern. 

Ähnlich gab es bis vor Kurzem auch in Asien keine bedeutende Kaffeekultur. Mit dem Wirtschaftswachstum in China und anderen südostasiatischen Ländern gibt es jedoch ein enormes Potential mit steigenden Zahlen an Kaffeetrinkern.

PM: Was sind die größten Herausforderungen für die Produzenten und die soziale, kulturelle und ökologische Dimension des Anbaus?

Eine Herausforderung ist der Klimawandel, bzw. die steigenden Temperaturen und unberechenbaren Niederschlägen in vielen Kaffeeanbauregionen. Davon besonders betroffen sein wird Arabica, welches anfälliger für Veränderungen. Aktuelle Anbaugebiete werden reduziert und gleichzeitig vermehrt von Schädlingen heimgesucht, welche durch die wärmeren Temperaturen besser gedeihen.

Auf sozialer Seite wird die faire Entlohnung aller Arbeitskräfte entlang der Produktionskette sowie Arbeitskräftemangel eine Herausforderung bleiben. Kaffeepflücker migrieren oftmals in größere Städte auf der Suche nach besserer Arbeit und lassen die mühsame, aufwändige Arbeit in den Kaffeeplantagen hinter sich.

PM: Ganz herzlichen Dank für deine vielen Hinweise und diese Einblicke in den Kaffeemarkt. Ich habe viel dazu gelernt. Und nochmal abschließend der Hinweis auf deine Seite Mycoffeebase.com